Kulturförderung als Motor lokaler Entwicklung?

Gestern war Party bei „Perfect Wedding“, dem Herbstfestival der kürzlich eröffneten Uferstudios, ein Teil der Tanzfabrik Berlin. Ich kam zufällig ins Gespräch mit einem älteren Ehepaar, das die ganze Anlage offenbar überhaupt nicht kannte. Ich konnte ein paar Informationen geben, Tanzräume hier und dort, gerade Uferstudiosfertiggestellt, Nutzung durch Profis und für universitäre Ausbildung und ich kramte nach dem Flyer mit den – wenigen aber attraktiven – Kurs-Angeboten für die nicht-professionelle Nachbarschaft. Nein, sie wären keine Nachbarn, sie hätten Unterkunft im Hotel am Luisenbad und wären einfach spontan und neugierig hier mal reingekommen. Das Hotel ist in Sachen Service verbesserungswürdig, das wusste ich schon. Gestern habe ich weitergehend erfahren, dass die Betreiber aber durchaus selbstbewusst sind, angesichts der Möglichkeit, den Zimmerpreis der Nachfrage anzupassen. Dieses Wochenende ist Marathon in Berlin, die Stadt ist ausgebucht; das führte dieses Ehepaar – das häufig in Berlin ist und sonst in anderen Bezirken nächtigt – nun in den Wedding. Die Leute sind sehr angetan von dem Umfeld, in dem sie hier mehr zufällig angekommen sind. Sie sind mehrere Male in unterschiedlichen Richtungen spazieren gegangen. Sie sind überrascht, dass die Menschen hier alle sehr freundlich sind. Sie erwähnten in diesem Zusammenhang insbesondere die – zunehmend orientalische – Badstraße. Sie kommen aus Stuttgart. Sie überlegen in Berlin eine Wohnung zu mieten, weil sie Berlin sehr mögen. Sie sind oft hier, „so viel Kultur“.

Das Gespräch war so außergewöhnlich
Ich sagte Ihnen, dass sie hier zwischen zwei Quartieren mit Quartiersmanagement untergekommen sind. Sie wussten nicht, was das ist. Ich sprach von Nachbarschaften mit hoher Arbeitslosigkeit, hohem Migrantenanteil in der Bevölkerung, Verwahrlosung des öffentlichen Raumes. Ich sagte, dass solche Nachbarschaften von Journalisten gerne mit Ghettos und anderen gefährlichen Gegenden gleichgesetzt werden. Ich sagte, ich würde hier schon sehr lange leben und ich würde gerne hier leben. Ich würde mich freuen, wenn Ihnen diese Gegend gefällt, denn tatsächlich hätten wir hier neben allen Problemen – die wir auch haben, mit denen wir uns beschäftigen – auch Lebensqualität. Sie erzählten von der Bibliothek am Luisenbad und sie hätten vor diesem wunderschönen Gebäude gestanden. Bibliothek am LuisenbadEine Mitarbeiterin der Einrichtung hätte da gerade ihre Pausenzigarette geraucht und sie eingeladen, die Bibliothek doch auch von innen zu besichtigen. Literatur in mehreren Sprachen, kostenlose Hausaufgabenhilfe: Das gibt es in Stuttgart nicht kostenlos. Ich habe erzählt, welche starken, auch verhärteten Vorbehalte uns Anwohnern immer wieder entgegenschlagen, wenn wir Dritten gegenüber erwähnen, dass wir im Wedding leben. Wedding habe bundesweit ein schlechtes Image. Sie sollten ruhig in Stuttgart drüber sprechen, wenn es ihnen hier gefällt, der Bezirk kann das brauchen. Soldiner Kiez habe ich nicht erwähnt, sonst hätten sie vielleicht doch Angst bekommen.

Ja aber ist das denn alles korrekt?

Ich bin heute etwas nachdenklich in dieser Sache
Das waren Stuttgarter, mit anderen Worten SCHWABEN. War das vielleicht die Vorhut der gefürchteten Gentrifizierung?

In Prenzlauer Berg gibt es Schilder „Schwaben raus“ und ich heiße solche Leute hier einfach willkommen? Nach Wikipedia beschreibt Gentrifizierung einen Prozess der sozialen Umstrukturierung in einem innerstädtischen Gebiet. „Dabei geht es um die soziokulturellen Veränderungen in einem ursprünglich ärmlicheren Viertel, wenn Immobilien zunehmend von wohlhabenderen Eigentümern übernommen und baulich verändert werden.“ In Berlin-Prenzlauer Berg sind offenbar zahlreiche Schwaben zugezogen, vielleicht fallen die auch aus anderen Gründen besonders auf. Jedenfalls listet google für „Prenzlauer Berg + Schwaben“ jede Menge Treffer, die recht dramatische Konflikte beschreiben. Aber ich schreibe ja über Wedding. Hier ist das noch nicht so weit. Frank Bielka, Vorstandsmitglied der degewo (größte Berliner Wohnungsbaugesellschaft) sagte neulich, Gentrifizierung wäre ihm eher egal, wenn wir es nur endlich schaffen würden, in bestimmten Stadtgebieten die Sprachkompetenz der Schulanfänger, das Lesen und Schreiben und die Bekanntheit von Werten einer (deutschen) Leitkultur bei Kindern durchzusetzen.

Kulturförderung
Das Bezirksamt Mitte setzt neben zahlreichen Büros für Quartiersmanagement auf unterschiedliche Formen der Kulturförderung zur Standortentwicklung. Zahlreiche ehemalige Industriegebäude entlang dem Flüsschen Panke sind heute kulturelle Leuchtturmprojekte verschiedener Art. Neben den eingangs erwähnten www.uferstudios.de (zeitgenössischer Tanz, ausgebaut mit Mitteln der Lottostiftung), sind gleich gegenüber die www.uferhallen.de (Kulturzentrum in privater Trägerschaft), in unmittelbarer Nachbarschaft Richtung Westen findet man die www.ExRotaprint.de (soziale, kulturelle, gewerbliche Nutzung), Bildhauerwerkstätten des BBK in der ehemaligen TresorfabrikRichtung Osten geht man an den Bildhauerwerkstätten des Berufsverband bildender Künstler vorbei und erreicht als nächsten Kulturstandort das Kulturwirtschaftliche Zentrum www.christiania.de. Dahinter, daneben, dazwischen und IN diesen Projekten drin befinden sich unzählige Künstler, Kulturmanager, Akteure von Soziokultur, Initiativen, Projekte, Vereine … und NIEMAND hat wirklich Überblick. Braucht man vielleicht auch nicht. Oder doch?

Ein Bekannter versucht so etwas wie eine Stattwerkstatt ins Leben zu rufen, der setzt sich mit der Kultur und Kreativwirtschaft auseinander. Er moniert hartnäckig, dass das Kulturamt Berlin-Mitte keinen Leiter hat, auch keine Leiterin. Ist das ein Hinweis, dass sich Kultur im Wedding quasi wildwüchsig entwickelt und entfaltet? Vielleicht muss das sogar so sein, wir wollen ja die künstlerische Freiheit nicht allzu sehr beschneiden? Aber immer wenn jemand Geld investiert, dann fallen konzeptionelle Entscheidungen. Wie lautet das Konzept für den Kunst- und Kulturstandort Mitte? Ich glaube, das wird gerade erarbeitet und ich hatte kürzlich Gelegenheit, den einen oder anderen Arbeitsschritt zu beobachten.

Bezirkliche Bündnisse für Wirtschaft und Arbeit
Einige europäische Förderinstrumente für lokale Entwicklung werden von bezirklichen Bündnissen für Wirtschaft und Arbeit gesteuert. Vorhandenen bezirklichen Entwicklungspotenziale werden hier für viele gute Ziele intelligent vernetzt, auch zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Über Projekte in den Programmen LSK (Lokales soziales Kapital), PEB (Partnerschaft – Entwicklung – Beschäftigung) und WDM (Wirtschaftsdienliche Maßnahmen) wird in sehr großen und hochrangig besetzten Gremien über entsprechende Projektanträge entschieden. Neuerdings kann man sich auf der Website über geförderte Projekte informieren, das ist praktisch. Ich habe nachgesehen für die Kreativwirtschaft in Berlin-Mitte.

Kreativwirtschaft als Motor der Entwicklung
Da läuft seit Juni letzten Jahres ein WDM-Projekt zu Kreativwirtschaft als Motor der Entwicklung. Rund 75.500 Euro öffentlicher Gelder werden eingesetzt, um das www.ExRotaprint.de und sein Blick in den Hof des ExRotaprintUmfeld als Wirtschaftsstandort zu unterstützen. „Für den Mix kultureller, sozialer und gewerblicher Nutzungen in ExRotaprint sollen die Mieter und Nutzer des Geländes adäquate Bedingungen erhalten, die durch das Projekt neu gestaltet werden.“ Am Standort soll „langfristig eine gute Infrastruktur für die ansässigen Wirtschaftsunternehmen aus Produktion und Kreativwirtschaft entstehen“. Kooperationspartner sind neben den Mietern und Entwicklern der Immobilie selbst die Bezirksverwaltung, Büros für Quartiersmanagement und „Einrichtungen der Kreativwirtschaft in Wedding“. Das Projekt endet im November diesen Jahres.

Kreativraum Wedding
Parallel gab es ein LSK-Projekt Kreativraum Wedding. Ziel ist die „Bestandsaufnahme zur Situation und Entwicklung der Kreativwirtschaft am Standort Wedding“. Neben Experteninterviews und Literaturanalysen wurden hier drei moderierte Workshops mit Akteuren und Multiplikatoren der Branche durchgeführt. Unter www.christiania.de stehen die Protokolle dieser Workshops sowie der Endbericht zum Download. Gleich im ersten Workshop wurde deutlich, wie groß das Interesse an branchenübergreifendem Austausch zum Kreativstandort Wedding ist. Insgesamt 46 Personen aus 35 Institutionen hatten sich viel zu erzählen, haben Visionen entwickelt, aber auch Ängste und Bedenken zur Standortentwicklung geäußert. Künstler, Kulturmanager, Projektmanager, Quartiersmanager, Freiberufler, sozialkulturelle Zentren und Anbieter für alternativen Tourismus, Bildungseinrichtungen und Immobilienunternehmen sind den Einladungen gerne gefolgt, um – gemeinsame und konträre – Anliegen zu besprechen.

Bestandsschutz
Bestandsschutz für preiswerte Mieten, der Weddinger soll nicht vertrieben werden. Kreativwirtschaft soll sich als „Zwischenraumspontanvegetation“ in Nischen (im baulichen und übertragenen Sinne) ansiedeln. Vorhandenes soll nicht ersetzt sondern in seinen Charakteristika erhalten bleiben. Eine Wandlung des Kreativraums, von der Rettungsinsel zum stolzen Dampfer – Zwischenraumspontanvegetationsoweit die Visionen und Wünsche aus dem ersten Workshop. Warum Geschäftsführung und Mieter des ExRotaprint als Teilnehmer drei Workshops hindurch den Bedarf und mögliche Wege zu einer Vernetzung der Akteure geleugnet, auch boykottiert haben, bleibt rätselhaft. Da ist ja das eigene Projekt, mit den Kooperationspartnern Bezirksamt und QM. Solche Projektpartnerschaften beeinflussen zuweilen die Perspektiven, das ist menschlich. Aber selbst aktuelle Kulturprojekte im unmittelbaren QM-Gebiet waren nicht bekannt. Worin besteht dann die Kooperation? Das eigene Projekt erfolgt in enger Abstimmung mit dem Bezirksamt … aber im Juli 2010 (auch die eigene Projektlaufzeit geht dem Ende zu) sieht man sich noch nicht in der Lage, Ziele gegenüber der Verwaltung/ Politik zu formulieren?

Was das mit den Schwaben zu tun hat: Allein diese moderierten Workshops wurden von Einzelpersonen als tendenziöse Vereinnahmung für eine aktiv betriebene Gentrifizierung erlebt. Da war eine große Sorge, hier instrumentalisiert zu werden … durch wen und was überhaupt, blieb allerdings offen. Die lokale Kreativwirtschaft hat offenbar Vertrauensfragen zu klären.

Lokal-Tourismus
Und ich treffe jetzt aber diese Stuttgarter und weiß überhaupt nicht, wie ich denen politisch korrekt gegenüber treten soll. Ist das nun gut oder schlecht wenn die hier so kommen? Wie verhalten sich überhaupt lokale Entwicklung, Gentrifizierung und Tourismus zueinander? Da ist nämlich noch so ein Projekt, das das o. g. bezirkliche Bündnis bewilligt hat: Förderung der Design- und Kreativwirtschaft in Berlin Mitte durch Tourismus. Projektstart war der 17. März diesen Jahres. An den moderierten Workshops zum Kreativraum Wedding im April, Mai und Juli haben vier Anbieter unterschiedlicher Formen von lokalem Tourismus teilgenommen. Aber von diesem Tourismusprojekt hatten wir nicht einmal erfahren.

Vernetzung – Organizing
Auch wenn die Geschäftsführung und Mieter des ExRotaprint das offenbar nicht mögen: Kreativwirtschaft im Wedding und der Kreativraum Wedding benötigen Kommunikation und Vernetzung. Alles andere würde einzelnen Akteuren ermöglichen, ihre Visionen, ihre Strategien und ihre Fördermittel für das einzusetzen, was sie als das Interesse aller betrachten. Das geht aber nicht.

Auf der Konferenz Metropolen Politik im Juli im ExRotaprint (warum wurde diese interessante, internationale Tagung zwei Tage vorher auf dem Workshop nicht bekannt gemacht?) erläuterte der New Yorker Professor für Stadtplanung Tom Angotti sehr anschaulich, warum Interessensvertretung für andere nicht geht. Jeder kann und sollte nur seine eigenen Interessen authentisch vertreten. Die wirkliche Frage ist, wie man möglichst viele unterschiedliche Akteure aktivieren kann, sich einzubringen, mit ihren jeweils eigenen Interessen. ORGANIZING sagen die Amerikaner. Der Begriff kann nicht einfach übersetzt werden, in Deutschland muss das recht ausführlich umschrieben und erklärt werden ;-)

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