Die verspielte Gesellschaft. Gamification oder Leben im Zeitalter des Computerspiels

Das Buch hat mich sehr überrascht, ich bin ja kein Spieler, dachte ich. Von Ludologie, einem transdisziplinärem Forschungszweit für Geschichte, Analyse und Theorie digitaler Spiele ist die Rede. Mir war bisher nicht klar, dass das Sammeln von Treuepunkten an der Supermarktkasse und die Belohnung mit einem besseren Kundenstatus (höheres Level) Parallelen zum Spielen hat. Wer mit dem Internetdienst Foursquare lokal an bestimmten Orten „eincheckt“ (mit Smartphone natürlich), bekommt ebenso Punkte und kann „Bürgermeister“ von Cafes, U-Bahnstationen oder dem lokalen Supermarkt werden. Natürlich ist das ein Spiel. Und solche Spiele werden nicht selten initiiert von Unternehmen, die sich für die Datenströme der Nutzer interessieren. Die Londoner Verkehrsbetriebe verwandeln mit „Chromaroma“ das gesamte Netz der öffentlichen Verkehrsmittel in ein Spielbrett. Über ein elektronisches Ticketsystem werden nutzerbewegungen im Nahverkehr transparent. Wer in der Rushhour eine Station früher aussteigt und läuft, bekommt Punkte. Wer die schnellste Verbindung zwischen zwei Stationen schafft, ebenso. Man kann allein oder im Team „spielen“.
Punkte für Abwaschen, Staubsaugen, Sport? Ja, gibt es schon. Jeder kann seine eigene ToDo-List hochladen und später öffenltich für die Abarbeitung punkten.

Der Transfer von Spielmechanismen auf nichtspielerische Umgebungen wird als Gamification bezeichnet.

Es gibt schockierende Beispiele: Wir wissen, dass Kinder und Jugendliche in virtuellen Umgebungen „ballern“. Mir war nicht bewusst, dass Krieg in der Realität heute genauso mit Joystick und Fernsteuerung geführt werden kann.

Endlich ist klar, warum WeightWatchers so erfolgreich ist: Punktesystem, Fortschrittsberichte, Möglichkeit, an besonderen Herausforderungen teilzunehmen, sich mit anderen zu messen sowie regelmäßig stattfindende Motivationstreffen. Es hat Spielcharakter.

Moderne Autos haben ein Spiel an Bord, bei dem ein grüner Fahrstil mit einem wachsenden digitalen Bäumchen belohnt wird.

Gamification ist der Einsatz von Süpielelementen, um bestimmtes Verhalten zu fördern/ Ziele zu erreichen.

Zahnbürsten und Personenwaagen mit Internetanschluss? Ja, das gibt es schon und beides mit Belohnungssystem und ggf. Wettkampf gegen andere „Spieler“. „Alles Quatsch“, dachte ich „brauche ich nicht“ und dann habe ich mich erinnert, ob man nicht das eigene Kind mit solchen Methoden zum Zähneputzen motivieren kann? Bestimmt kann man.

Bei Earth Aid gewähren Spieler Zugang zu ihren Stromrechnungen und bekommen Punkte und Prämien, wenn sie bestimmte Energiebudgets unterschreiten. Bei der App „JouleBug“ entsteht Wettbewerb im Kampf um die niedrigsten Energiekosten. Normalerweise macht Energiesparen nicht unbedingt „Spaß“ aber der Wettkampf entsteht über Facebook und Twitter.

Gamification: Ein spannender Trend, der mir bisher nicht bewusst war.

Nora S. Stampfl: Die verspielte Gesellschaft. Gamification oder Leben im Zeitalter des Computerspiels
Reihe Telepolis, Heise 2012, 14,90 €

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