Kennen Sie das Märchen vom süßen Brei? Wenn ja, können Sie den nächsten Absatz überspringen

Gebrüder Grimm – Der süße Brei

Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die wusste seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: „Töpfchen, koche“, so kochte es guten, süßen Hirsebrei, und wenn es sagte: „Töpfchen, steh“, so hörte es wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und aßen süßen Brei, sooft sie wollten. Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: „Töpfchen, koche“, da kocht es, und sie isst sich satt; nun will sie, dass das Töpfchen wieder aufhören soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu, die Küche und das ganze Haus voll und das zweite Haus und dann die Straße, als wollt’s die ganze Welt satt machen, und ist die größte Not, und kein Mensch weiß sich da zu helfen. Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, da kommt das Kind heim und spricht nur: „Töpfchen, steh“, da steht es und hört auf zu kochen, und wer wieder in die Stadt wollte, der musste sich durchessen.
Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass viele Unternehmen (Mutter) unterstützt durch Softwareanbieter oder IT-Berater (Tochter) Technologien zur Unterstützung der internen Kommunikation und des Wissensmanagements einführen (Topf). Als Beispiele für solche Töpfe wären hier nur Blogs, Wikis und Podcasts zu nennen. Und ist es nicht in der Praxis so, dass Unternehmen zwar wissen, wie sie die Technologien zum Laufen bringen, dann aber mehr oder weniger die Kontrolle darüber verlieren und ihnen die Informationen (süßer Brei) sinnbildlich aus den Ohren rausquillt (s. Blog „Von Jägern und Sammlern“).

Lassen Sie mich hierzu folgendes Beispiel geben: Auf der Knowtech 2006 stellten Vertreter von Siemens den Siemens Mitarbeiter-Weblog vor. Neben durchaus unternehmensrelevanten Themen fand sich – soweit wie ich mich erinnern kann – auch ein Eintrag mit der Überschrift „Powerpoint Krankheiten“. Als hätten die Referenten es geahnt, dass ich nach weiteren skurrilen Einträgen fragen würde, kam bei der Erläuterung des Screenshots der Hinweis, dass im Sommer 2006 auch ein Weblog zur Fußball Weltmeisterschaft bestand, der erst vor kurzem geschlossen wurde. Leider blieb keine Zeit, um nach dem unternehmerischen Nutzen solcher Einträge zu fragen.

Hier gilt der Spruch aus Goethes Zauberlehrling: „Die Geister die ich rief, werd` ich nun nicht los“. Die Technologien sind da, aber es fehlt die Kontrolle, neudeutsch: Governance. Konsequenzen: Jeder Mitarbeiter wird motiviert, aufgefordert oder fühlt sich verpflichtet, sein Wissen mit anderen zu teilen, in dem er ALLES ausspeichert, was nach seiner Meinung anderen oder vielleicht auch nur ihm selber Nutzen stiftet, und sei es die Anerkennung der Kolleginnen und Kollegen. Ich sehe die Einträge unter der Rubrik „Powerpoint Krankheiten“ direkt vor meinem geistigen Auge.

  • Sind mehr als 20 Bulletpoints pro Folie sinnvoll?
  • Reicht ein Bild auf einer Folie aus?
  • Ab welcher Schriftgröße kann man in 5 Metern Entfernung nichts mehr erkennen?

Und damit das Prinzip der Freiwilligkeit und des Fair Play – propagierter Grundgedanke einer Community – gewahrt bleibt, greift man in das Geschehen nicht ein und lässt die Mitarbeiter gewähren. So stehen Unternehmensstatistiken und vertriebliche Best Practice Beispiele neben der Kritik am Präsentationsstil von teuren Beratern und den Ergebnissen des letzten Spieltags der Bundesliga. Schön, das es noch Unternehmen wie Siemens gibt, die ihren Mitarbeitern soviel Gutes tun.

Das die oben genannten Technologien nur dann einem Unternehmen Nutzen stiften, wenn sie zumindest in einem gewissen Umfang kontrolliert werden, steht auch nach Ansicht von Larry Sanger, Mitgründer von Wikipedia außer Zweifel. Erst vor kurzem habe ich hierzu einen Kommentar gelesen: (Quelle Spiegel Online, „Wikipedia-Gründer fordert Wikipedia heraus“ vom 17. Oktober 2006). Dort findet sich folgende Passage: „Wikipedia war wiederholt wegen schwerwiegender Fehler in einzelnen Artikeln in die Schlagzeilen geraten.“ Sanger will, dass sich die Citizendium-Community eine eigene Charta schafft: eine Art Leitbild, in der Ziele, Umgangsregeln und Rechte der Mitglieder geregelt werden. Aufpasser sollen die Einhaltung der Charta überwachen und im Extremfall auch Mitglieder ausschließen, die sich nicht daran halten. Artikel in Citizendium sollen wie in Wikipedia grundsätzlich von jedermann bearbeitet werden können. Allerdings will Sanger dies nur registrierten Nutzern erlauben. Diese müssten sich außerdem mit ihrem wirklichen Namen und einer gültigen E-Mail-Adresse anmelden.
Also: Gilt der Grundsatz „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ ?! Das Maß an Kontrolle ist der Kasus Knaxus. Zuviel und die Mitarbeiter verlieren die Lust, zu wenig und der Topf quillt über. Ein nach meinem Empfinden sinnvolles und vor allem pragmatisches Vorgehen hat ThyssenKrupp bereits 2004 auf der Knowtech vorgestellt: (Quelle: Müllhoff: Ein Konzern will wissen, was er weiß, in: Gronau / Petkoff / Schildauer: Wissensmanagement – Wandel, Wertschöpfung, Wachstum. Tagungsband, S. 45-53, 2004, München)

  • Themenspezifisches Wissen wird in Wissensshops zusammengefasst. Ein Wissensshop wird durch Etagen, Räume, Regale und Ordner strukturiert. Jeder Wissensshop wird durch einen Shop-Besitzer betreut. Er legt fest, wer auf welche Informationen Zugriff erhält bzw. Informationen einstellen darf. In den Wissensshops können Fragen gestellt, Themen diskutiert und Know-how Träger identifiziert werden.
  • Um die einzelnen Wissenshops miteinander (semantisch) zu vernetzen und inhaltliche Abhängigkeiten bzw. Zusammenhänge zu visualisieren, werden thematisch verwandte /nahestehende Wissenshops zu Straßen und Vierteln zusammengefasst.
  • Mehrere Straßen und Viertel bilden eine Wissensstadt. Jeder Wissensstadt steht ein „Bürgermeister“ vor. Dieser entscheidet über die Aufnahme von neuen Wissensshops.
  • Mehrere Wissensstädte bilden ein Wissensland mit einem „Kanzler“ als Eskalationsstufe bei Interessenskonflikten.
  • Die Summe der Wissensländer bildet die Wissenswelt des Unternehmens ab.
  • Resümee: Man sollte im Unternehmen immer jemanden haben, der die Zauberformel für Blogs, Wikis und Podcasts kennt:

    Töpfchen, steh!

    Oder

    In die Ecke, Besen! Besen! Seids gewesen! Denn als Geister ruft euch nur, zu seinem Zwecke, erst hervor der Alte Meister.

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